Europa muss seine Interessen selbstbewusster nach außen vertreten

Deutschland und die EU müssen ihre Interessen nach außen selbstbewusster vertreten, um die sich abzeichnenden Umbrüche im Weltwirtschaftssystem zu meistern. Es ist Zeit für eine selbstbewußte, aber für Partnerschaften auf Augenhöhe offene Politik. Nur Kooperation kann zukünftige Wertschöpfung sichern. Lesen Sie weiter wie der BVDSI sich hierzu in einem Artikel der „Deutsche Wirtschafts Nachrichten hierzu äußert.

Deutschland und die EU müssen nach Ansicht von Hans von Helldorff, dem Sprecher des Bundesverbandes Deutsche Seidenstraße Initiative und Mitglied des Wirtschaftsrates der CDU, ihre Interessen nach außen selbstbewusster vertreten, um die sich abzeichnenden Umbrüche im Weltwirtschaftssystem zu meistern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie sind Sprecher des Bundesverbandes Deutsche Seidenstraße Initiative. Was sind dessen Ziele?

Hans von Helldorff: Der BVDSI ist gegründet worden, um die Interessen der mittelständischen, deutschen Wirtschaft in den Volkswirtschaften entlang der Seidenstraßen-Routen zu wahren. Er versteht sich als Kompetenzplattform in Sachen Belt and Road Initiative (BRI – Neue Seidenstraße – die Red.) und möchte die vielfältigen Expertisen, die zu diesem Thema in Deutschland vorhanden sind, bündeln, damit es möglichst einen zentralen Ansprechpartner für Politik und Wirtschaft sowohl im Inland als auch für das Ausland gibt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit dem Aufstieg Chinas verschieben sich die wirtschaftlichen und politischen Machtachsen auf der Welt. Was bedeutet dies für Deutschland und seine Volkswirtschaft?

Hans von Helldorff: Es wird immer deutlicher, dass die einst ziemlich unangefochtene Stellung Deutschlands als führende Export und Wirtschaftsnation nicht mehr in Stein gemeißelt ist. Kampagnen, wie die „Neue Seidenstraße“ der Chinesen, „America First“ der Amerikaner oder der Traum der Briten von „Global Britannia“ zeigen deutlich, wie sehr sich die Vorstellungen einer traditionellen Weltwirtschaftsordnung verschieben. Deutschland ist mit seinem sehr gut aufgestellten Mittelstand immer noch in einer sehr gut gerüsteten Wettbewerbsposition. Allerdings muss Deutschland ordnungspolitisch dafür sorgen, dass unsere mittelständische Wirtschaft überhaupt noch die sich entwickelnden neuen Wertschöpfungspotenziale nutzen kann. Das geht nur kooperativ mit China und den Ländern entlang der neuen Seidenstraßen – und nicht konfrontativ, wie es derzeit in der EU und in Deutschland praktiziert wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund einen drohenden Handelskrieg zwischen den USA und China?

Hans von Helldorff: Der „größte Dealmaker aller Zeiten“ (Donald Trump – die Red.) hat mittlerweile zur Genüge bewiesen, dass er genau dies nicht ist. Die volkswirtschaftlichen Rahmendaten der USA kennen derzeit nur den Trend nach unten. Zwar hat auch China derzeit konjunkturelle Dellen zu verzeichnen, aber das ist bei einem immer noch stattlichen Wachstum von 6,5 Prozent leicht verkraftbar. Die staatlich gelenkte Investitionspolitik Chinas kann auf enorme Währungsreserven bauen und damit gezielt gegenlenken. Dies gilt sowohl im investiven, als auch im konsumptiven Bereich. Außenwirtschaftlich ist China um einiges besser aufgestellt als die USA und der Westen einschließlich der USA.

Für Deutschland bedeutet diese Situation ganz klar, sich zu entscheiden. Entweder treten wir für eine partnerschaftliche neue Weltwirtschaftsordnung ein oder wir entscheiden uns weiterhin am langen Band der Gängelung der USA verbleiben zu wollen. Genau das meine ich, wenn ich sage, dass Souveränität nicht immer nur angenehm ist. Es geht um die dringend notwendige Positionierung zur Wahrung eigener berechtigter Interessen. Idealerweise besinnt sich Deutschland auf seine historische gewachsen Rolle und Stärke. Wir sollten eine Brückenfunktion zwischen Ost und West einnehmen. Was für eine Perspektive!!!

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland scheint die Sorge vor einem übermächtigen China verbreitet zu sein. Ist diese Sorge berechtigt?

Hans von Helldorff: Eine ähnliche Situation hat Großbritannien im 19. Jahrhundert erlebt, als es sich plötzlich einem erstarkenden Deutschland gegenübersah. Es hat mit allen fairen und unfairen Mitteln versucht den Wettbewerb zu unterbinden. Wie wir alle wissen, ging das daneben. Heute sieht sich der Westen, also insbesondere die USA und die EU, einem Wettbewerb mit einem ständig stärker werdenden China ausgesetzt. Was für eine Überraschung! Nachdem der Westen China Jahrzehnte lang als verlängerte Werkbank genutzt und davon enorm profitiert hat, stellt man plötzlich fest, dass die chinesische Volkswirtschaft deutlich mehr zu bieten hat und in vielen Bereichen durchaus auf Augenhöhe agiert. Anstatt sich auf eigene Stärken zu konzentrieren und den Wettbewerb ernsthaft aufzunehmen, entwickelt man protektionistische Tendenzen. Cui bono?

Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: In Zeiten einer unvergleichlichen Dynamik der globalen Wirtschaftsentwicklung helfen nur die Besinnung auf eigene Stärken und die Suche nach kooperativen Lösungen weiter. By the way, die Summe deutscher Direktinvestitionen in China, beträgt immer noch ein Vielfaches der Direktinvestitionen der Chinesen in Deutschland.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was sollten die Ziele der deutschen Wirtschaftspolitik sein?

Hans von Helldorff: Für mich steht außer Frage, dass Wirtschaftspolitik die Königsdisziplin aller politischer Felder darstellt. Sieht man sich jedoch die politische Debatte in Deutschland an, so hat man den Eindruck, es gehe ausschließlich um Sozialpolitik. Schon heute ist der Sozialetat der mit Abstand größte im gesamten Bundeshaushalt und noch immer wird mehr gefordert. Diese Forderungen gehen eindeutig zu Lasten der Zukunftssicherung unserer Nation. Es fehlen Gelder für Bildung, für Forschung, für den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur, für Verteidigung, aber auch für die Förderung von digitaler Infrastruktur und von innovativen jungen Unternehmen. Dieses Drama spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass Deutschland, nicht zuletzt dank der Agenda 2010 – übrigens kein CDU Produkt – die höchsten Steuereinahmen und Überschüsse seit Bestehen der Bundesrepublik verzeichnen kann. Selbst für den Schuldenabbau und damit zur Entlastung zukünftiger Generationen wird dieser enorme Reichtum nicht verwendet.

Es muss also dringend ein Paradigmenwechsel her. Allerdings geht das nur mit geeignetem politischem Personal. Das Drama der deutschen Politik und damit der gegenwärtigen Regierung ist nun mal, dass man das Mittelmaß zum Credo erhoben hat. Leider ist die Opposition da nicht viel besser – auch die Grünen nicht. Deutschland hat nur einen Rohstoff, der theoretisch unerschöpflich ist: Das ist unsere Kultur, unsere Erfahrung, unsere Bildung und unserer Zielstrebigkeit, es besser machen zu können. Mittelmaß können wir nicht. Um diese Ressourcen zu aktivieren, bedarf es allerdings entsprechender politischer Impulse. Ich sehe derzeit nicht, wo die herkommen sollen. Dies umso weniger, als dass sich der Parlamentarismus im Mittelmaß eingerichtet hat. Früher war Politik eine Berufung für Mandatsträger – heute ist es zum Beruf geworden. 95 Prozent der Mandatsinhaber verdienen heute mit dem Mandat mehr, als sie es im eigenen Beruf täten. Das spricht nicht gerade für die Zugehörigkeit zu einer mentalen Elite. Einfach traurig!

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die Energiepolitik der Bundesregierung hinsichtlich einer Sicherung des Industriestandorts Deutschlands?

Hans von Helldorff: Der Anschluss an Sanktionen gegenüber traditionellen Partnern ist immer eine Sanktion gegen die eigene Wirtschaft und damit gegen die eigenen Interessen. Zu glauben, man könne Russland mittels Sanktionen gefügig machen, entspricht dem Glauben an die Zahnfee oder Frau Holle. Russland verfügt in allen Bereichen über die größten Ressourcen der Welt und genügend alternative Partnerkanäle. Deutschland täte sehr gut daran, endlich souverän zu handeln, so wie es z. B. Frankreich auch tut. Nord Stream 2 ist doch kein Projekt gegen die USA, wer hat denn ein Interesse daran, das zu behaupten? Polen, die Ukraine, die USA, Frankreich?? Ja, alle diese Staaten verfolgen mit dieser Agitation eigene, souveräne Interessen. Wer will ihnen das verdenken? Nur, seriöse Politik ist das nicht, partnerschaftliche Politik schon gar nicht. Deutschland hat sich verpflichtet, auch mittels der beiden Ostseepipelines zur Versorgung der EU mit russischem Erdgas beizutragen, auch gegen die Widerstände der USA, die in erster Linie eigenwirtschaftliche Interessen durchzusetzen versuchen. Das darf Deutschland aus Gründen der Glaubwürdigkeit in keinem Fall zulassen. Für Deutschland und die EU ist es von vitalem Interesse, die Chance für eine Revitalisierung der Partnerschaft mit Russland und damit mit dem eurasischen Wirtschaftsraum zu erhalten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Einige Staaten der EU stecken in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in Großbritannien stimmte eine Mehrheit der Wähler für den Brexit, in Italien bekommt Matteo Salvini für seine EU-kritischen Töne Rückenwind von der Wählerschaft. Glauben Sie, dass die EU in einer Krise steckt? Wird sie in einer demnächst multipolaren Weltordnung an Bedeutung verlieren?

Hans von Helldorff: Das Drama Europas ist ein Drama fehlender Identifikation mit der eigenen Opferbereitschaft. Es werden immer nur ganz handfeste Vorteile wahrgenommen, die in ein vermeintlich gesundes Verhältnis zum eigenen Opfer gestellt werden. So findet es jeder zum Beispiel gut, wenn er ohne Visum nach Mallorca fliegen kann und dort nicht mehr die D-Mark in Peso umtauschen muss. Wenn aber Populisten wie im Vereinigten Königreich aus dem Zusammenhang gerissene Behauptungen benutzen, um Stimmung gegen die EU zu machen, dann wird klar, wie gering tatsächlich die bürgerliche Identifikation mit Europa gefestigt ist. China taugt in diesem Fall wenig als Beispiel. Wir würden eine 5.000 Jahre alte staatliche Identifikation und Geschichte mit einer knapp 4.000 Jahre alten Geschichte der Kleinstaatlichkeit, der kulturellen Vielfalt, der starken bewussten Abgrenzung zueinander, der Kriege miteinander, der wechselnden Allianzen, usw. usw. vergleichen. Daraus ergibt sich aber auch das ungeheuer Revolutionäre des europäischen Integrationsgedankens.

Leider werden viele Fehler gemacht – obwohl man es besser weiß. Nehmen wir nur den Euro: Eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik, ohne gemeinsame Sozialpolitik, ohne gemeinsame Fiskalpolitik kann nicht funktionieren. Schon gar nicht, wenn wir Wohlstand in vergleichbarem Umfang in der gesamten EU erreichen wollen. Erst recht nicht, wenn wir die EU als größter Wirtschaftsraum der Welt in einem Wettbewerb aufstrebender Nationen sturmfest aufstellen wollen.

Eine europäische Identifikation kann sich nur aus der Vielfalt speisen. Keine Nation der EU kann es sich leisten, allein den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Wir brauchen eine zentrale politische Kraft aus Brüssel, die allerdings andere Schwerpunkte setzen muss als bisher. Dazu gehört eine funktionierende außenpolitische Vertretung, genauso wie eine gemeinsam Verteidigungsstruktur.

Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsdoktrin, genauso wie wir europäische Bildungsstandards brauchen, die sich auf die erfolgreiche geistesgeschichtliche Grundlage von Aufklärung und Humanismus beziehen. Wir brauchen aber auch eine europäische digitale Strategie, die den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft gewachsen ist. Europa braucht eine manifestierte Unabhängigkeit von hegemonialen Machtzentren wie den USA oder China.