Strategische Handelsinteressen und geopolitische Ambitionen China – eine Friedensmacht?

Strategische Handelsinteressen und geopolitische Ambitionen China – eine Friedensmacht?

Gastkommentar von Junhua Zhang

Mit seinem ambitionierten Seidenstrassen-Projekt sieht China sich gezwungen, in teilweise unruhigen Weltgegenden zum Friedensstifter zu werden. Solches gibt dem Wirtschaftslager in Peking Schub.
Mit einer anvisierten Investition von mehreren Billionen Dollar weltweit ist Chinas Seidenstrassen-Projekt einer der ambitioniertesten Pläne der Menschheitsgeschichte. Sicherlich ist der ursprüngliche Ansatz des Vorhabens auf Chinas strategisches Eigeninteresse fokussiert: Durch den massiven Aufbau der Infrastruktur will man das Problem der Überkapazität chinesischer Industrieproduktion lösen. Mit der Zeit hat sich jedoch eine Eigendynamik entwickelt, die positive Nebeneffekte zeitigt. Die immer wichtiger werdende Rolle Chinas als friedensstiftender Macht ist ein Beispiel dafür.
Zu den wichtigen Zielen des Seidenstrassen-Projekts gehört die wirtschaftliche Expansion mittels Vernetzung (durch Strassen, Eisenbahnen, Pipelines) – und zwar mit Ländern, die bisher wenig von der globalen Wirtschaft berührt wurden. Freilich stösst China überall, wo es diese Politik betreibt, an Grenzen, meist wegen politischer Instabilität der betroffenen Region.
Rege Aktivitäten
In Burma etwa hat China vom Indischen Ozean bis in die chinesische Provinz Yunnan eine 800 Kilometer lange Öl- und Gaspipeline gebaut. Auch Verhandlungen mit den burmesischen Behörden über den Bau eines Tiefwasserhafens im Wert von 7,3 Milliarden Dollar bei Kyaukpyu sind im Gang. China will dadurch einen weiteren Zugang zum Indischen Ozean schaffen. Aber kriegerische Verhältnisse bereiten den Chinesen Kopfschmerzen: Seit Jahrzehnten kämpfen die Regierungstruppen mit lokalen Rebellen, von denen einige direkt und indirekt von chinesischer Seite unterstützt werden. Eben dadurch sind Chinas Infrastrukturprojekte bedroht.
Nun will Xi Jinping einen Schlussstrich ziehen und die Rebellen, wie die Kokang-Armee und deren Verbündete, zur Versöhnung mit der Regierung drängen. Chinas Bemühungen kommen Aung San Suu Kyi entgegen. Diese wollte schon immer den Traum ihres Vaters verwirklichen: ein vereinigtes Burma mit friedlicher Koexistenz aller ethnischen Gruppen. Sie weiss genau, dass ein friedliches Zusammenleben aller ethnischen Gruppen ohne Chinas Initiative nicht möglich ist.
Freilich beschränken sich Chinas Friedensbemühungen nicht nur auf Burma. Schon seit Jahren versucht die chinesische Regierung, Pakistan und Afghanistan zusammenzubringen, um so eine koordinierte Regionalpolitik zu ermöglichen. Zudem ist Peking seit langer Zeit auch mit den Taliban im Gespräch, mit dem Ziel, einen Friedensdialog mit der afghanischen Regierung zu etablieren. Die Taliban haben mehrmals Delegationen nach Peking geschickt. Chinas Bemühungen fallen übrigens in eins mit den Zielen der USA, welche diese «Neutralität» trotz starker militärischer Präsenz vor Ort nicht ausüben können.
China agiert nicht ohne Grund. So hat es bereits mehr als 60 Milliarden Dollar in den Wirtschaftskorridor zwischen China und Pakistan investiert. In Zentralasien ist China seit längerem wirtschaftlich hochaktiv, und das Funktionieren des Korridors hängt vom Frieden in der Region ab. Aber auch Pipelines und andere Transportwege zwischen China und Zentralasien könnten bedroht sein, sollte sich der Einfluss der radikalislamischen Taliban weiter ausdehnen.
Wirft man einen Blick auf andere Weltgegenden, stösst man dort ebenfalls auf rege chinesische Aktivitäten in Sachen Frieden. In Bezug auf Djibouti und Eritrea erkundet Peking Wege, den Grenzkonflikt um den Dumeira-Berg und die Dumeira-Insel zu deeskalieren. Zudem versucht es, Einfluss auf die Bürgerkriegsparteien im Südsudan auszuüben, um wenigstens ein bisschen Hoffnung in die verfahrene Situation zu bringen. In Bezug auf den Nahen Osten hat China beim jüngsten Besuch von Mahmud Abbas in Peking einen Drei-Parteien-Dialog zwischen Israel, den Palästinensern und China angeregt. Zum Dank will Abbas die Projekte zur neuen chinesischen Seidenstrasse unterstützen. Dass diese Initiative wirklich etwas Substanzielles hervorbringt, ist zu bezweifeln.
Friedensstiftung steht vielerorts auf der politischen Agenda Chinas, auch wenn bis jetzt nirgendwo konkrete Ergebnisse zu erkennen sind. Freilich wäre es naiv zu behaupten, dass sich China nur um des Friedens willen ins Zeug lege. Die Wahrheit ist schlicht, dass das Land ein stabiles Umfeld für Investitionen im Ausland braucht, vor allem in der näheren Nachbarschaft. Vor dem Hintergrund der unter Trump inkonsistent gewordenen Asienpolitik der USA wird Chinas Rolle jedoch immer tragfähiger und immer bedeutsamer.
Zu beobachten ist, dass sich in China selber eine friedensfördernde und eine militärische Fraktion konkurrenzieren. Der Friedens-Standpunkt wird von Ministerien vertreten, die auf wirtschaftliche Expansion setzen, während das Verteidigungsministerium und die Armee auf militärische Stärke setzen und für Kriege gerüstet sein wollen. Die Staatsführung flottiert zwischen diesen zwei Polen. In der Praxis hat die Fraktion ziviler wirtschaftlicher Expansion die Oberhand, auch wenn Pekings Rhetorik oft militärisch-martialisch daherkommt.
Typisch dafür ist der jüngste Grenzstreit zwischen China und Indien in der Region Doklam. China bediente sich einer unerhört kriegerischen Rhetorik, um Indien zum Einlenken zu zwingen. Auf der anderen Seite weiss China genau, dass ein tatsächlicher Krieg mit Indien seine Seidenstrassen-Projekte in der Region ruinieren würde.
Xi Jinping wird eine Grundsatzentscheidung treffen müssen zwischen der wirtschaftlichen Expansion und dem territorialen Gezänk. Dabei dürfte das Wirtschaftslager in der Aussenpolitik letztlich die Oberhand gewinnen. Das zeigt sich bereits in der Unterzeichnung der Deklaration zu einem Kodex über das Verhalten im Südchinesischen Meer zwischen den Asean-Staaten und China. Nicht dass China deswegen völlig auf den Friedenspfad eingeschwenkt wäre. Ein grösserer, selbst angezettelter Krieg wird dann möglich, wenn sich das Land wirtschaftlich in einem ausweglosen Zustand befindet.
Die internationale Gemeinschaft sollte das Projekt der neuen Seidenstrasse nicht unkritisch akzeptieren, aber auch anerkennen, dass Chinas Plan eine Logik inhärent ist, die den Frieden in teilweise äusserst unruhigen Weltgegenden weit voranbringen könnte.
Junhua Zhang ist Professor für Politikwissenschaft an der Shanghai Jiao Tong University. Er ist seit April 2017 für ein Jahr als Gastprofessor an der Freien Universität Berlin tätig.

 

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